Säure

Über kaum einen anderen Aspekt beim Kaffee gibt es mehr Miβverständnisse als über die Säure . Dabei könnte man sie als „die Seele“ dieses Getränks bezeichnen. Die Säure, oder präziser, die Summe aller Säuren (R.J. Clarke listet in „The flavour in coffee“, 1986, 48 verschieden Säuren auf), ist das wichtigste Kriterium, wenn es um die Bewertung der Qualität und die Festlegung des Preises geht. Die teuersten Kaffees der Welt (von Extremen wie „Jamaica Blue Mountain“, der durch geschicktes Marketing aufgewertet wurde, Kuriositäten wie „Kopi Luwak“, dem sog. „Schleichkatzenkaffee“ oder Kaffees aus Neuguinea in teuren Holzschatullen u.ä. einmal abgesehen) sind immer auch die säurehaltigsten. Solche Kaffees kommen vorwiegend aus Ostafrika und Mittelamerika. Im Gegensatz zu diesen vorzugsweise in groβer Höhe und auf vulkanischen Böden wachsenden Arabicas sind die in niedrigeren Höhen wachsenden Arabicas, besonders aber die in der Regel noch niedriger wachsenden Robustas deutlich säureärmer und dementsprechend billiger. Es gibt also eine enge Beziehung zwischen der sich im Preis ausdrückenden Qualität und dem Säuregehalt eines Kaffees.

Der Säuregehalt wird aber nicht allein durch die Wachstumsbedingungen beeinflusst, sondern ganz entscheidend durch die Verarbeitungsform des Kaffees direkt nach der Ernte. Der Säuregehalt eines Kaffees ist nämlich bei der gewaschenen Verarbeitung deutlich höher als bei der (Sonnen-)Tocknung. Dies hängt, so hat es den Anschein, damit zusammen, daβ im Vergleich zum Waschen der ‚Körper’ beim (Sonnen-)Trocknen zunimmt und die Säuren stärker überdeckt.

Daβ viele Verbraucher heute dem Säureaspekt skeptisch gegenüberstehen ist vor­nehmlich der den Markt dominierenden industriellen Kurzzeitröstung zu verdanken. Dabei werden die Säuren, vor allem die Chlorogensäure, nur unzureichend abgebaut, was zwangsläufig den Magen belastet.

So paradox es klingt: Die Säuren machen einerseits, geschmacklich gesehen, den Wert eines Kaffees aus, müssen andererseits aber, der besseren Verträglichkeit wegen, her­ausgeröstet werden. Es liegt nun ausschlieβlich in der Hand des Rösters, ob er genau den Punkt finden möchte, bei dem die sog. „feinen“ Säuren bis zu einem bestimmten Grad noch erhalten bleiben, die sich negativ auswirkenden Säuren, speziell die Chloro­gensäure, aber schon herausgeröstet sind - oder eben nicht. Das Rösten ist diesbezüg­lich eine sehr diffizile Angelegenheit, und jeder Röster hat hier seine ganz eigenen Vor­stellungen.

Eines hingegen ist klar: Je kürzer die Röstdauer, desto niedriger die Kosten und desto günstiger der Kaffee - aber um so gröβer die Magenbeschwerden!

Wie komplex das Rösten tatsächlich ist und wie viele Manipulationsmöglichkeiten es (auch schon im Vorfeld bei der sog. „Veredelung“) gibt, zeigt allein schon die Tatsache, daβ bei extrem kurzen Röstzeiten (60 - 120 sec.) eine „Geschmackstransformation“ herbeigeführt wird, die bei billigen, geschmacklosen Kaffees eine höhere Säure, einen angnehmeren Geschmack und einen gröβeren Körper lediglich vortäuscht! Diese Tat­sache ist schon lange bekannt, und besonders in den USA, aber leider nicht nur dort, wird reichlich Gebrauch davon gemacht. Auf diese Weise kann ein qualitativ schlechter Kaffee (pseudo-) aufgewertet werden, ohne daβ der Verbraucher etwas davon merkt. Aber dies sei hier nur am Rande erwähnt.

Beim Trinken spüren Sie die Säure als Trockenheit an den Rändern Ihrer Zunge. Ist Ihr Kaffee zu säurearm, schmeckt er flach, das scharfe, klare, helle Vibrieren fehlt ihm dann. Wird ein Kaffee als sauer empfunden, dann ist er quasi „übersäuert“. Das muss nun aber nicht (nur) mit dem Rösten oder der verwendeten Kaffeevarietät zusammen­hängen, es kann auch durch die Art der Zubereitung u./o. durch Zubereitungsfehler verursacht worden sein.

Um das Säureempfinden ein wenig zu trainieren, können Sie, sofern Sie ein Faible dafür haben, verschiedene unterschiedlich säurebetonte Weine oder verschieden Obst- und Fruchtsäfte verkosten und miteinander vergleichen.